Donnerstag, 27. Januar 2011

Schwarzer Tod von Ralf Kramp

Nachdem ich derzeit etwas pausiere beim Seifesieden möchte ich euch doch wenigstens ein Lebenszeichen zukommen lassen in Form einer Geschichte. 

Schwarzer Tod von Ralf Kramp

Drei bis vier Tröpfchen. Großartig, verkeht machen kann man da eigentlich nichts, hat der Mann gesagt. Und man riecht es nicht? Riecht nach nichts und schmeckt nur ein kleines bisschen bitter. Aber nur ein bisschen. Und der Knüller ist, dass es nicht nachweisbar ist. Knipst einfach die Pumpe aus und Ende im Gelände. Der Mann scheint seiner Sache sehr sicher zu sein.
Ich habe ihn übers Internet kennen gelernt. Seinen Namen darf ich nicht verraten, das werden Sie verstehen.
Er wiederholt noch einmal. Sie wird nichts spüren. Nichts? Nichts. Geht alles ganz schnell. Sekundensache. Klingt gut. Das wäre wirklich schön. Eigentlich mag ich sie. Seine Hand legt sich tröstend auf meine Schulter. Muss eben sein. Ganz schnell, ganz schmerzlos. Sie hat vielleicht noch Zeit, Huch zu sagen. Huch? Ja. Huch oder Ui oder ein Seufzer oder so was. Und dann Sense.
Oma muss endlich sterben. Wenn das so weitergeht, wird sie irgendwann hundertachtzig, und ich bin immer noch pleite. Kann ja wohl nicht sein. Wenn sie nicht so geizig wäre. Schade.
Tasse Kaffee, Oma? Das sei das Beste, hat der Mann gesagt. Wegen des bitteren Geschmacks. Klar, oder?
Oma nickt. Mach ihn schön stark, Junge. Ich verkneife mir ein Grinsen. Schwarzer Humor ist hier fehl am Platz, finde ich. Ist ja schließlich meine Lieblingsoma. Trotzdem.....
In den Filter, hat der Mann gesagt. Da verteile es sich schön. Gut, bitteschön. Ich setze Wasser auf und stülpe einen Porzellanfilter auf eine einzelne Tasse. Bei Oma wird noch von Hand gebrüht, wie früher.
Du trinkst keinen, mein Jungchen? Ich schüttele den Kopf. Mein Magen, Oma, mein Magen. Ist nicht einmal gelogen. Mir ist ein bisschen flau.
Sie nimmt die Tasse, die ich ihr liebevoll mit dem Zuckerdöschen hingeschoben habe, legt den Kopf schief, grinst mich mit blinkenden Goldkronen an und schüttelt missbilligend den Kopf. Jungchen, wo hast du bloß deine Gedanken? Ich verstehe nicht. Die Milch. Milch, natürlich. Ich bin völlig durcheinander. Aber im Kühlschrank ist keine Milch. Im Kühlschrank ist keine Milch! Da kann man nichts machen. Ohne Milch trinkt Oma den Kaffee nicht. Der Laden ist glücklicherweise gleich um die Ecke. Aus Gewohnheit lasse ich mir eine Zwei-Euro-Münze in zwei einzelne Euro-Münzen wechseln, um einen Wagen zu holen. Blöd. Ich brauche keinen Wagen. Ich brauche eine Büchse Milch. An der Kasse gibt es eine lange Schlange. Drei Leute erbarmen sich meiner. Vier andere bleiben stur. Den Wagen mit dem Euro lasse ich zurück. Man muss investieren, um an die große Kohle zu kommen. Als ich das Treppenhaus in den vierten Stock hochhechte, schlägt mir das Herz im Hals. Schlüssel, Schloss, auf, zu.
Ein Staubsauger im Flur. Der war vorhin noch nicht da. Und dann höre ich Stimmen aus dem Wohnzimmer.
Als ich in die Szenerie stolpere, sehe ich, dass Oma Besuch bekommen hat. Das ist Herr Kampreuther von der Firma....Er will mir einen Staubsauger zeigen. Soso, Herr Kampreuther von der Firma.....
Ich schüttele wie betäubt die Hand des dürren Mannes mit den vielen Schuppen auf den Schultern und betrachte Omas Tasse, die jetzt an seinem Platz steht und bereits halbleer ist. Herr Kampreuther trinkt keine Milch.
Herr Kampreuther hat offensichtlich das Gefühl zu stören. Alte Omas kann man bequatschen, aber wehe, der Enkel taucht auf. Wo ist die Toilette? fragt er. Ich gehe vor ihm her in den Flur. Hinter mir höre ich noch ein schwaches Huch, dann das Rascheln eines Mantels und ein Plumpsen, und als ich mich nach Herrn Kampreuther von der Firma....umdrehe, hat er bereits eine horizontale Lage eingenommen. Ging ja schnell. Ich schleife ihn ins Bad. Seine Fersen hinterlassen Spuren auf dem Teppichboden, die aussehen wie Eisenbahngleise. Die Schuppen wirbeln mir ins Gesicht.
Haben Sie auch eine Saugbürste für Schultern? murmele ich verächtlich.
Als ich ihn auf die Fliesen bette, läutet es an der Tür. Oma hat einen Big-Ben-Gong. Jeder der metallischen Töne dringt mir bis ins Mark. Badezimmertür zu, Wohnzimmertüre auf. Lieselotte und Engelbert aus dem Hunsrück. Überraschung! Eine Wolke von Kölnisch Wasser. Küsse rechts und links, ein Schlag auf die Schulter, der mein Knochengefüge an dieser Stelle ein bisschen durcheinander bringt.
Oma ist wie aus dem Häuschen. Ich grübele darüber nach, dass ich eigentlich nur noch zehn oder zwanzig weitere Verwandte einsammeln und hierher karren müsste, dann bekäme sie vielleicht sogar ohne meine Tröpfchen den nötigen Herzkasper. Machst du uns Kaffee, Junge? Aber diesmal eine ganze Kanne, bitte. Ihr wollt doch Kaffee, oder? Wollen sie. Lieselotte behauptet, sie würde sterben für eine Tasse Kaffee. Mach so weiter, dann kannst du das haben, denke ich bitter. Ist natürlich nur ein Scherz.
Ich nehme die halbleere Tasse von Herrn Kampreuther und schütte sie in der Küche in den Ausguss. Dann setze ich einen Kessel Wasser auf den Herd. Das Fläschen mit den Tropfen steckt in meiner Hosentasche. Alles unter Kontrolle. Während das Wasser aufkocht, muss Kampreuther verschwinden. Ich bugsiere ihn, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt, ins Treppenhaus. Da lehne ich ihn an die Wand und drücke ihm den geliebten Staubsauger in die Arme.
In Ausübung seines Berus vom Tode ereilt....
Mann, was würden mir da Texte für die Todesanzeige einfallen.
Nachdem ich die Haustür wieder geschlossen habe, atme ich erst mal auf. Ist der nette Herr Kampreuther von der Firma....Ist der schon weg, Jungchen? Ist er, Oma. Und wie der weg ist. Ein Duft weht durch den Raum. Würzig, kräftig. Lieselotte kommt mit einer Kaffeekanne aus der Küche. Meine Panik packe ich gleich wieder weg. Das Fläschen ist in meiner Hose. Oder? Fühlen. Doch, ist es.
Der Junge kriegt keinen Kaffee, Lieselotte. Sein Magen.
Mir ist jetzt auch gar nicht danach. Wir setzen uns im Kreis um das kleine Tischchen und Lieselotte packt die Urlaubsfotos aus. Das Fichtelgebirge. Phantastische Aufnahmen. Lieselotte und Engelbert in tausendundeiner Variation. Von hinten, von vorn, mit Hut, mit Sonnenbrille, mit vollem Mund. Zwischen dem siebenundvierzigsten Foto - Lieselotte vor dem Reisebus die dreizehnte, Klappe sieben - und dem achtundvierzigsten Foto - Lieselotte vor dem Reisebus die dreizehnte, Klappe acht - werfe ich einen Blick zu Engelbert auf der anderen Seite des Tisches. Er setzt die Tasse ab, und ich höre Ui. Dann sackt er nach hinten in den Sessel weg. Was ist los? Kann ja wohl nicht sein. Da läuft irgendwas unrund! Ich taumele in die Küche. Leerer Wasserkessel, alter Kaffeefilter, offen stehender Geschirrschrank. Aus dem Wohnzimmer höre ich Lieselottes Stimme: Du musst Oma neue Filtertüten kaufen. Ich habe die letzte noch mal benutzt.
Ich bin versucht, in die Arbeitsplatte zu beißen. Aber unkontrollierte Wut nützt jetzt nichts. Kühler Kopf, ruhige Hand.
Hinter mir kommt Lieselotte in die Küche. Hast du mich gehört, Junge? Habe ich. Ich höre auch Uff und kann ihr gerade noch die fast volle Tasse aus der Hand nehmen, als sie mit den Beinen wegknickt und ungebremst auf das Linoleum donnert. Alles so, wie es mir der Mann versprochen hat. Immerhin das läuft glatt. Big Ben. Dingdong Dingdong. Dingdongdingdong. Ich schiebe Lieselotte unter den Küchentisch. Muss ich mich später drum kümmern. Dann fliege ich ins Wohnzimmer. Oma hat sich aufgerappelt und wackelt in Richtung Haustür. Sie hebt den schrumpeligen Zeigefinger vor die Lippen und sagt: Leise, Jungchen. Engelbert ist eingeschlafen. Wahrscheinlich ist er noch sehr erschöpft von der Urlaubsreise.
Nee, klar, denke ich und packe Engelbert beim Revers. Vom Abenteuerurlaub im wilden Fichtelgebirge. Von wegen. Engelbert ist jetzt bei den Engelchen.
Engelbert ist doppelt so schwer wie Herr Kampreuther. Gefühlte dreihundertachtzig Kilo. Der Schweiß sprudelt mir in Fontänen aus den Poren. Ich rolle ihn hinters Sofa und lege einen Zipfel des Teppichs darüber. Sieht nicht sehr überzeugend aus. Muss aber ja nur so lange reichen, bis ich außer Landes bin. Ich bin gerade fertig, als die Tür aufgeht.
Der Hausmeister, der mit Oma reinkommt, ist völlig außer sich. In meinem Treppenhaus, lamentiert er. In meinem Treppenhaus ist noch nie einer gestorben!
Auch Oma ist völlig verstört. Stell dir nur vor, Junge, der Herr Kampreuther von der Firma....
Dann mustert sie mich. Du bist ja völlig verschwitzt, Jungchen. Zum Hausmeister gewandt sagt sie: Sie müssen bei Gelegenheit mal nach den Heizkörpern gucken. Im Schlafzimmer und in der Küche klemmen die Thermostate.
Er nickt matt und lässt sich auf einen Sessel sinken. In meinem Treppenhaus...., stöhnt er.
Von mir kann er kein Mitgefühl erwarten. Nicht heute.
Wenn er jetzt nach dem Kaffee greift, werfe ich mich auf ihn. Jetzt muss Schluss sein. Big Ben. Klar. Sonst kommt kein Schwein, und heute treten sich die Leute auf die Füße.
Gehst du mal, Junge?
Nein, ich gehe nicht. Ich werde diesen Hausmeister nicht aus den Augen lassen! Ich werde sein Leben retten!
Es hat geläutet!
Seiner Lieblingsoma kann man nichts abschlagen. Ich springe in den Flur und reiße die Wohnungstür auf. Frau Schnichels von nebenan hat Herrn Kampreuther nun auch kennen gelernt. Seine Einsilbigkeit scheint sie verunsichert zu haben. Sie hat vorsorglich die Polizei angerufen, wie sie mir mit bebender Stimme erklärt, während ich zurück ins Wohnzimmer stolpere. Kein Hausmeister. Nur Oma.
Ich war nur Bruchteile von Sekunden draußen, bin eigentlich wieder da gewesen, bevor ich überhaupt rausgelaufen war, und trotzdem hat es dieser elende Hausmeister geschafft zu entkommen. Wo ist er? schreie ich.
Meine Oma erschrickt und deutet auf die Küche. Das Thermostat.
Ich bin sofort bei ihm In diesem wenigen Bruchteilen von Sekunden kann er doch nichts angestellt haben. Vielleicht hat er noch nicht einmal Lieselotte in ihrem Versteck unter dem Küchentisch entdeckt. Noch ist alles zu retten.
Der Hausmeister sieht mich erschrocken an. Eine Hand hat er hinterm Rücken. Als er meinen panischen Blick sieht, holt er sie langsam nach vorne. Lieselottes Tasse. Ist das Ihre? Ich hatte so einen trockenen Mund vor Aufregung....Ui!
Zack, auf dem Linoleum.
Bei Lieselotte ist kein Platz!
Jetzt ist alles egal. Ich torkele zurück ins Wohnzimmer. Oma beugt sich über die schluchzende Frau Schnichels, der der Rotz aus der Nase läuft. Das wird nicht lange dauern mit der Polizei, sagt sie im Lieblingsoma-Tonfall.
Frau Schnichels schlürft Kaffee. Sieht eklig aus. Als es wieder läutet, höre ich die Melodie diesmal nur noch wie unter Wasser zu mir durchdringen.
Ich gucke meine Lieblingsoma an und denke: Du wirst hundertachtzig, Oma. Du wirst am Ende noch zweihundertsechsunddreißig.
Dann setze ich mich neben Frau Schnichels und sage matt: Ich hätte auch gern eine Tasse Kaffee. Oma zieht die Stirn kraus und meint: Denk an deinen Magen, Jungchen.

So, ich hoffe, euch hat die Geschichte gefallen. Wenn ihr Lust auf mehr habt, könnt ihr das Büchlein mit weiteren Kurzkrimis unter der ISBN 978-3-937001-71-5 beziehen. Das Büchlein heißt Schwarzer Tod.

Hinweise zum Autor und dem, was er macht, findet Ihr unter:
http://www.ralfkramp.de/ und http://www.kbv-verlag.de/

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